5. Der Weg zur Gemeinsamen Schule 5.1 Überzeugen und Mitnehmen Die geplante Reform muss von den bestehenden Gegebenheiten der Schul-landschaft ausgehen. Sie wird nur dann Erfolg haben, wenn sie von der Mo-tivation und der Einsicht aller Beteiligten getragen wird. Sonst steht sie in der Gefahr zu scheitern. Die Schulstrukturreform der CDU/FDP im Jahr 2003 war rein ideologisch begründet und von oben durchgesetzt. Ihre Ziele entsprechen nicht den heutigen Anforderungen unserer Gesellschaft, sie spiegeln die Gesellschaftsstruktur des 19. Jahrhunderts wieder. Der von CDU und FDP eingeschlagene Weg trägt obrigkeitsstaatliche Züge. Dies sind nicht unsere Ziele und dies ist nicht unser Weg zum Ziel.

Wir wollen eine optimale Schule, in der die Förderung der individuellen Schülerpersönlichkeit im Mittelpunkt steht. Dies ist nach unserer Überzeu-gung am Besten in Form einer Gemeinsamen Schule " möglich. Wir wissen aber, dass es wegen der noch bestehenden gegensätzlichen pädagogischen und weltanschaulichen Überzeugungen für eine Reform mit dem Ziel einer solchen Schule noch großer Überzeugungsarbeit bedarf.

Wir wissen aber auch: Ein solches Schulsystem wird inzwischen von Vertretern aus Kirchen und Gewerkschaften, Wissenschaft und Wirtschaft, aus Verbänden und Kommunen, vom Deutschen Städtetag und von Hand-werkskammern gefordert. Entscheidend für die Umsetzung unseres Reformkonzeptes wird sein, noch mehr Menschen von seinen Vorteilen zu überzeugen. Dazu gehören Eltern, Schüler, Schulträger, Verbände und nicht zuletzt auch die Schulen selbst. Sie alle müssen überzeugt werden. Dabei sprechen die Vorteile der Gemeinsamen Schule für sich, denn

  • strukturelle Reformen sind unabweisbar,
  • alle Schülerinnen und Schüler profitieren davon, die Leistungsstarken ebenso wie die Leistungsschwächeren,
  • die Beteiligten und Betroffenen werden zeitlich, pädagogisch oder finanziell nicht überfordert.

Die pädagogischen Fragen betreffen vor allem die Eltern und die Schüle-rinnen und Schüler, aber auch die Betriebe, die Lehr- und Arbeitsplätze be-reitstellen. Wir wissen, dass viele Eltern in Niedersachsen eine gymnasiale Beschulung oder eine Realschulbildung für ihre Kinder wollen, aber auch das Interesse nach Gesamtschulplätzen ist sehr hoch. Dort, wo die bereits bestehenden 30 integrierten und 33 kooperativen Gesamtschulen mit ihrer pädagogischen Arbeit überzeugen, bewerben sich bis zu 40 Prozent eines Altersjahrgangs um einen solchen Platz. Landesweit liegen die Anmeldezahlen weit über dem vorhandenen Angebot.

Alle diese Bedürfnisse nehmen wir sehr ernst. Den Eltern und Schülern ist die Vielfalt aller Schulformen im Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG) und die Wahlmöglichkeit zwischen einer Gemeinsamen Schule und den anderen Schulformen einzuräumen. Aber wir sind sicher, dass unser Kon-zept gerade weil es fast alle diese Bedürfnisse aufnimmt langfristig überzeugt.

Trotzdem oder gerade deshalb werden wir es nicht von oben verord-nen, sondern die Veränderungen unter Beteiligung aller Betroffenen von un-ten aufwachsen lassen. Ungleichzeitigkeiten in den Kommunen und Regio-nen nehmen wir dabei für einen längeren Zeitraum bewusst in Kauf.

Die Kostenfrage betrifft vor allem die kommunalen Schulträger. Deshalb gilt für sie streng das Prinzip der Konnexität. Alle Mehrkosten, die ihnen durch die Einführung der Gemeinsamen Schule entstehen, werden vom Land getragen. Über das Verrechnen finanzieller Synergieeffekte wird es dabei faire Verhandlungen geben.

Der Rückgang der Schülerinnen- und Schülerzahlen, auf den die örtliche und regionale Schulentwicklungsplanung reagieren muss, um Schulstand-orte halten zu können, wird die ersetzende Einführung der Gemeinsamen Schule jedoch fördern und das Bereitstellen der räumlichen Voraussetzun-gen erleichtern.

Unabhängig von diesen Regelungen steht jedoch fest: In einer gesamtge-sellschaftlichen Kostenrechnung ist eine solche Schule mit den Möglichkei-ten des flexiblen Lehrkräfteeinsatzes und der Nutzung der schulischen Ein-richtungen durch alle Schülerinnen und Schüler ohne Vorhalten von räumli-chen und sächlichen Ressourcen für jeweils drei separate Bildungswege kostengünstiger. Perspektivisch kann davon ausgegangen werden, dass dadurch der Gesellschaft auch Kosten im sozialen Bereich gespart werden. Schon in der Einführungsphase hat diese Schulstruktur für die Schul-entwicklungsplanung und Schulträger vor allem in ländlich geprägten Berei-chen große Vorteile, weil die derzeit unkontrollierbaren Schülerströme entfallen werden. Dies vereinfacht und verbilligt z. B. den Schülertransport.

5.2 Die Schritte der Reform Nach der Übernahme der Regierungsverantwortung in Niedersachsen im Jahr 2008 wird die SPD sofort die Schritte zur stufenweisen Einführung der Gemeinsamen Schule einleiten.

Dabei kann an bestehende Regelungen im Schulgesetz angeknüpft werden. Schon jetzt gilt: Der Zugang zu jeder der Schulformen des Sekundarbereichs I ist frei. An jeder Schulform können alle Schulabschlüsse erworben werden. An Hauptschulen kann der erweiterte Sekundarabschluss I und am Gymnasium der Hauptschulabschluss erteilt werden.

Daran anknüpfend ergeben sich folgende Schritte:

1. Zunächst müssen schulformunabhängige Rahmenrichtlinien und Bil-dungsstandards erarbeitet werden. Diese Richtlinien werden für alle Gemeinsamen Schulen verbindlich und müssen vorbehaltlich möglicher Profilbildungen eingehalten werden. Dabei wird berücksichtigt, dass das Bildungsangebot den verschiedenen Begabungen den erforderlichen Raum zur Entfaltung lässt und insoweit dem Recht der Eltern und Schü-ler aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verfassung i. V. mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 GG Rechnung trägt, den Bildungsweg selbst zu bestimmen. (Urteil des Nds. Staatsgerichtshofes zur Verfassungsmäßigkeit der 1994 von der rot-grünen Mehrheit im Landtag zur Regelschule erhobenen Integrierten Gesamtschule). Dass mit schulformübergreifenden Rahmenrichtlinien qualifizierte Abschlüsse erreicht werden können, haben die Integrierten Gesamtschulen bewiesen. Dort hat es übrigens seit 34 Jahren auch kein Sitzenbleiben gegeben.

2. Parallel dazu wird die Gemeinsame Schule sofort gleichberechtigt in den Katalog der allgemein bildenden Schulformen nach § 5 NSchG auf-genommen. Dies bedeutet auch, dass die übrigen Schulformen des Se-kundarbereichs I weiter fortbestehen allerdings nun gleichberechtigt neben der Gemeinsamen Schulen.

3. Die neue Schulform wird in einem eigenen Paragrafen (§ 12 a NSchG) beschrieben. Dazu gehört vor allem, dass in ihr Schülerinnen und Schü-ler des 5. bis 10. Schuljahrgangs unterrichtet werden, dass in ihr Schüle-rinnen und Schüler befähigt werden sollen, im Anschluss an ihre Schul-zeit ihren Bildungsweg berufs- oder studienbezogen fortzusetzen, und dass an ihr alle Schulabschlüsse erworben werden können wie an den anderen Schulformen des Sekundarbereichs I.

4. Die Schuleinzugsbereiche werden aufgehoben. Den Eltern wird dadurch die freie Schulwahl ermöglicht.

5. Alle weiterführenden Schulen werden mit einer Änderung im § 59, Abs. 4 NSchG verpflichtet alle Schülerinnen und Schüler aufzunehmen und kei-nen Schüler und keine Schülerin gegen den Willen der Eltern abzuschu-len, sondern sie bis zum Ende des 10. Schuljahres so zu fördern, dass ein möglichst qualifizierter Abschluss erteilt werden kann. An die Stelle des Sitzenbleibens treten Fördermaßnahmen. Die Erziehungsberechtig-ten behalten aber das Recht, eine Klassenwiederholung oder einen Schulwechsel zu beantragen.

6. Die Errichtung der Gemeinsamen Schule wird in die Hand der kommu-nalen Schulträger gelegt. Sie können damit ihre Schullandschaft neu ord-nen. Das wird weniger durch Neuerrichtung von Schulen als vielmehr durch Zusammenlegung und Umwandlung bestehender Schulen erfolgen, wobei wegen unterschiedlicher Schulträgerschaft gegebenenfalls Absprachen zwischen den Landkreisen und den kreisangehörigen Ge-meinden nötig werden können. Die Umwandlung sollte jahrgangsweise aufsteigend vorgenommen werden, sodass sie sechs Jahre nach ihrem Beginn abgeschlossen wäre. Entsprechende gesetzliche Regelungen werden in § 106 NSchG formuliert.

7. Dem freien Elternwillen wird Rechnung getragen. Wenn genügend Eltern die Einrichtung einer Gemeinsamen Schule wünschen, muss die Kom-mune eine solche Schule einrichten. Die z. Zt. noch bestehende Regelung des Finanzierungsvorbehaltes der Kommunen entfällt und die Umwandlung wird allein an Regelung nach Maßgabe des Bedürfnisses (§ 106 Abs. 1 Satz 1 NSchG) geknüpft. Bis zur Umsetzung der Maßnahme können sie mit benachbarten Schulträgern Kostenausgleiche und Schülertransporte vereinbaren, um dem Bedarf gerecht zu werden. Unabweisliche Kosten, die sich trotz nachweislicher sofortiger Bemühungen zur Umorganisation des kommunalen Bildungsangebotes nicht vermeiden lassen, werden vom Land erstattet.

8. Der Elternwille ist vom Schulträger jährlich durch geeignete Maßnahmen (z. B. Befragungen, Anmeldezahlen) festzustellen. Dabei sind auch Zwischenformen der Zusammenlegung, z. B. die Entwicklung von Haupt- und Realschulen zu Sekundarschulen möglich. Damit wird bewusst in Kauf genommen, dass sich das kommunale Schulsystem heterogen entwickelt. So kann es z. B. durchaus im Falle einer Zusammenlegung von Hauptschulen und Realschulen zu zweisäuligen Modellen Gemeinsame Schule und Gymnasien kommen. Dies wird in § 106 NSchG eindeutig geregelt.

9. Die zu vergebenden Abschlüsse in der Gemeinsamen Schule richten sich nach den Regelungen der Konferenz der Kultusminister (KMK). So kann der Hauptschulabschluss nach Klasse 9, die weiterführenden Ab-schlüsse nach Klasse 10 erworben werden. Die Klasse 10 wäre dann zugleich Abschlussjahrgang für die Sekundarstufe I, zugleich aber auch Eingangsjahrgang in die Sekundarstufe II.

10. Förderschulen werden bei Bedarf weiter vorgehalten, wobei der bereits in § 4 NSchG geregelte Grundsatz der Integration mittels eines neu in das Schulrecht einzufügenden individuellen Rechts auf die Bereitstellung der organisatorischen, personellen und sächlichen Voraussetzungen der Integration gestärkt wird. Ihr Sekundarbereich I wird als Förderschulzweig an der Gemeinsamen Schule" angebunden.

11.Die Errichtung von Gemeinsamen Schulen wird durch finanzielle Unterstützung (zusätzliche Budgets, Stundenzuweisung für Förderunterricht, Assistenzpersonal und Fortbildungen) befördert. Dabei werden die Effek-te aus der Zusammenlegung von Schulen und den zurückgehenden Schülerzahlen (bis zum 2015 um 25 Prozent) genutzt.

12. Die Gemeinsame Schule" wird vorrangig nach dem Modell der selbstständigen Schule" geführt. Sie erhält auch vorrangig ein Vollbudget zur eigenverantwortlichen Verwaltung. Die staatliche Lenkung erfolgt durch vorgegebene Standards, die definieren, welche Leistungen am Ende einer Klassenstufe erreicht werden müssen. Die Standards werden regelmäßig evaluiert. Sie ist Ganztagsschule.

13. In der Selbstständigen Schule" mit erweiterten Rechten und Pflichten der Schulleitung bleibt die Gesamtkonferenz oberstes Entscheidungs- und Beschlussorgan für die Regelung der pädagogischen Belange.

14. Sonder-, Grund-, Haupt-, Real-, und Gymnasiallehrer unterrichten unab-hängig vom Lehramt gleichmäßig und nach Bedarf in der Schule. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Pflichtstundenzahl und die Eingruppierung werden überprüft.

5.3 Die Gemeinsame Schule als Kommunale Schule Die Gemeinsame Schule" wollen wir über das Prinzip der Selbstständigen Schule" konsequent als eine Kommunale Schule" führen.

Ganzheitliche Bildung erfordert auch ein neues Nachdenken über bisherige Trennungen im Bildungssystem: Vorschulische und schulische Bildung müs-sen nicht nur durch einen gemeinsamen Rahmen aufeinander abgestimmt, sondern inhaltlich und organisatorisch auf einander bezogen sein. Jugend-arbeit kann künftig nicht mehr losgelöst neben der Schule laufen: Die Ge-meinsame Schule wird als Ganztagsschule auch für kommunale Jugend-pflege und die Jugendarbeit der Vereine neue Rahmenbedingungen schaf-fen. Gerade für die gleichberechtigte Entwicklung von Menschen mit Migrationshintergrund oder aus sozial schwachen Familien ist die Verbin-dung der Arbeit der Jugendämter, der kommunalen Sozialdienste und der Schulen von herausragender Bedeutung.

Schon bisher gibt es viele und gute Beispiele für die ausgezeichnete Zu-sammenarbeit zwischen Schulen, Gemeinden und Vereinen. Aber immer wieder erschwert die Trennung von sachlicher Schulträgerschaft der Ge-meinden, Städte und Landkreise einerseits und der Verantwortung des Lan-des für das pädagogische Personal andererseits ein gutes und sinnvolles Zusammenwirken. Daher wollen wir Modelle erproben, Schulen ganz in kommunale Trägerschaft zu geben, d. h. auch die Lehrer zu Beamten der Gemeinden, Städte und Kreise zu machen. Dabei muss für die Kommunen gewährleistet sein, dass die Personalkosten in voller Höhe vom Land erstat-tet werden. Auch wird das Land als Gewährleister der Bildungspolitik den personellen und pädagogischen Rahmen weiterhin definieren müssen.

Eine vollständig kommunalisierte Schule bietet aber nicht nur eine bessere Verzahnung der verschiedenen Bildungs- und Freizeitangebote, sondern vor allem auch größere Einflussmöglichkeiten der Eltern in den Städten und Gemeinden und damit eine Stärkung der Verantwortung vor Ort, zum Bei-spiel über die Einrichtung von Schulkonferenzen, in denen neben den Schul-trägern, Eltern, Schüler und Lehrkräfte paritätisch vertreten sind.

Wenn sich das Modell bewährt, sollen bis 2018 alle allgemein bildenden Schulen in die vollständige Trägerschaft der Gemeinden, Städte und Kreise übergehen; auch bei berufsbildenden und Förderschulen sollen die Schul-träger die Möglichkeit erhalten, sie vollständig zu übernehmen.

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