Über Helmut Rohde – zur Erinnerung
Manche hatten ihn längst vergessen, weil man so lange nichts von ihm oder über ihn gehört oder gelesen hatte. Das wäre nicht gut für eine Partei, die sich wegen ihrer langen Geschichte auch ihres langen Gedächtnisses rühmt.
Helmut Rohde war eine „große Nummer“ in der SPD Hannovers, Niedersachsens und der alten Bundesrepublik.
(eine Erinnerung von Prof. Rolf Wernstedt)
Seine Tätigkeit als Pressesprecher des Niedersächsischen Sozialministeriums unter Heinrich Albertz von 1953 bis 1957 nach seinem Studium der Politik und Wirtschaft in Wilhelmshaven hatte der gelernte Journalist als Aufgabe verstanden, den Journalisten und der Öffentlichkeit sozialdemokratische Sozialpolitik zu erklären. Seine Auftritte waren legendär. Wortgewandt und leidenschaftlich stritt er für Positionen, die er für richtig erkannt hatte.
In Parteiversammlungen sprach der relativ klein gewachsene Mann immer etwas zu laut. Man merkte, dass er das Reden zu einer Zeit gelernt hatte, als es noch nicht überall Mikrofone gab. Man nahm es ihm nicht übel, weil er die Sachen so sehr in den Vordergrund zu stellen, ohne billige Lobhudelei oder Propaganda zu betreiben. Er wollte überzeugen, nicht überreden.
Das kam besonders in seiner Funktion als Parlamentarischer Staatssekretär im Sozialministerium unter Walter Arendt zum Tragen. Seine Sorge galt den sozial Schwächeren, zu denen immer auch die Arbeitslosen zählen. Die relativ neue Erfahrung mit Arbeitslosen nach den Boomjahren der Bundesrepublik trieb ihn um. Er konnte sich schrecklich aufregen über die gefühllose Präsentation der monatlichen Arbeitslosenzahlen durch die BfA. Dem Arbeitsförderungsgesetz galt seine Aufmerksamkeit genauso wie dem Berufs- Bildungs- Gesetz.
Seine bedeutsamste staatliche Rolle hatte er als Bundesbildungsminister von 1974 bis 1978 inne. Er war in seiner total unakademischen Art eine interessante Figur. Denn er war derjenige, der die durch Länderkompetenzen nicht heilbar scheinenden Probleme des Hochschulwesens in einem Hochschulrahmengesetz aufnahm und grundgesetzkonforme Regelungen schuf (beim Hochschulzugang, bei der Hochschulmitfinanzierung des Bundes, Bafög usw.).
Im Kopf hatte er nicht nur die unter der Forderung nach Chancengleichheit stehende Ausweitung der Abiturientenzahlen, die in der Öffnung der Hochschulen ihren Niederschlag fand, sondern auch die Förderung der außerbetrieblichen Ausbildung.
Wer z. B. heute an dem modernen Ausbildungszentrum der Handwerkskammer in Garbsen-Berenbostel vorbeifährt, denkt meist nicht an Helmut Rohde, der sie eingeführt und gefördert hat. Sie könnten auch heute und in Zukunft bei einer zielgerichteten Förderpolitik für ärmere Länder eine wichtige Rolle spielen, um an den korrupten Regimen vorbei in den Entwicklungsländern für eine qualifizierte Ausbildung der dortigen Jugend zu sorgen.
Helmut Rohde war der eigentliche Begründer der AfA, der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD. Elf Jahre, von 1973 bis 1984, war er ihr Vorsitzender. Er war wie kein Zweiter geeignet, die zunehmende Schwäche der genuinen Arbeitnehmerpositionen in der SPD glaubwürdig zu formulieren und zu überwinden.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag 1987, dem er seit 1957 angehört hatte, hat er sich öffentlich weitgehend zurückgezogen. Und nach einem schweren Autounfall verstummte seine politische Stimme.
Von Helmut Rohde habe ich gelernt, was kirchliche Nächstenliebe von sozialdemokratischer Solidarität unterscheidet. Im Freizeitheim Hannover-Ricklingen erklärte er einmal, dass uns nicht das mitfühlende Herz für Schutzsuchende und Schutzbedürftige von den religiös Motivierten trennt, sondern der feste Wille, so weit es geht, für alle in der Gesellschaft das Recht auf würdevolle Behandlung und soziale Sicherung zu etablieren. Hilfe darf nicht angewiesen sein auf die persönliche Hilfsbereitschaft einzelner Menschen, seien es Reiche oder Selbstlose, so vorbildlich und großzügig menschlich sie sein mögen. Es kommt nicht auf das Wohlgefühl der guten Tat allein an, sondern auf die Anerkennung der Würde für alle, praktisch und ideell. Damit hatte er sehr präzise den Kern konservativer, z. B. US-amerikanischer, Sozialpolitik und sozialdemokratischer Solidarität formuliert.
Helmut Rohde konnte hinreißend Gitarre spielen. Es konnte passieren, dass er bei einer Ortsvereinsfeier die Gitarre hervorholte, das Bein auf den Stuhl stellte und „When the Saints go marching in“ anschlug.
Ein sozialdemokratischer Saint ist von uns gegangen.
Prof. Rolf Wernstedt, 1. Mai 2016